FAQ Aufnahmeprogramm für trans* Menschen öffnen
FAQ Petition “Aufnahmeprogramm für trans*Menschen aus Russland”
FAQ Petition “Aufnahmeprogramm für trans*Menschen aus Russland”
Vor dem Start der Petition über das Aufnahmeprogramm für trans*Personen aus Russland, haben wir viel Arbeit in die Recherche über die rechtlichen Grundlagen für die Eröffnung eines solchen Aufnahmeprogramms und die juristische Praxis in solchen Fällen investiert. Unser Ziel war ein Aufnahmeprogramm für trans*Menschen, die keine aktivistische Erfahrung und Verbindung mit deutschen Institutionen haben.
In diesem Beitrag möchten wir einige der Fragen beantworten, die wir uns gestellt haben und die ihr im Zusammenhang mit unserer Petition aufgeworfen habt.
Es gibt verschiedene Arten von Aufnahmeprogrammen auf der Grundlage des § 23 AufenthG.
Gem. § 23 Abs. 2 AufenthG verpflichtet das Bundesministerium des Innern, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zur Erteilung einer Aufnahmezusage für bestimmte Personengruppen nach durch das Bundesministerium des Innern festgelegten Kriterien. An diese Aufnahmezusage ist die zuständige Ausländerbehörde gebunden und hat daher eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen.
Die Anträge werden durch das ihm untergeordnete Bundesamt für Migration und Flüchtlinge bearbeitet, das die Aufnahmezusagen an betroffene Ausländer*innen erteilen muss. Das Bundesamt verteilt die aufgenommenen Ausländer*innen auf die Länder. Die Ausländerbehörden treffen keine Entscheidungen über die Aufnahme und sind an die Aufnahmezusagen des Bundesamtes gebunden.
Insoweit unterscheidet sich das Verfahren nicht wesentlich vom Verfahren nach § 22 Satz 2 AufenthG. Auch die Aufnahmezusagen gem. § 22 Satz 2 AufenthG werden erst nach Verteilung auf die Bundesländer durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge erteilt. Das Verfahren wird sogar gegenüber dem jetzt praktizierten Verfahren vereinfacht, da das Auswärtige Amt bei der Prüfung von Anträgen nicht mehr eingebunden werden muss und somit insgesamt weniger Behörden beteiligt sind.
Die einzelnen Bundesländer können auch eigene Aufnahmeprogramme gem. § 23 Abs. 1 AufenthG schaffen. Im Rahmen von Aufnahmeprogrammen der Länder ordnen die obersten Landesbehörden an, dass bestimmten Personengruppen Aufenthaltserlaubnisse erteilt werden. Auch hier sind die Ausländerbehörden an die Entscheidung der obersten Landesbehörde gebunden und verpflichtet, den Personen, die festgelegte Kriterien erfüllen, Aufenthaltserlaubnisse im Rahmen der Quote zu erteilen.
Mit der aktuellen Petition fordert Quarteera die Eröffnung eines Aufnahmeprogramms gem. § 23 Abs. 2 AufenthG auf Bundesebene. Allerdings würden wir die Schaffung einer oder mehreren Aufnahmeprogramme für queere Menschen aus Russland auch auf Landesebenen begrüßen. Solche Programme wurden bereits von aufnahmebereiten Bundesländern erfolgreich durchgeführt und sind nicht weniger “wertvoll”. Es gibt bereits in einzelnen Bundesländern Vorlagen zur Schaffung entsprechender Aufnahmeprogramme.
Das humanitäre Visum nach § 22 Satz 2 AufenthG richtet sich an Aktivist*innen, Journalist*innen und Menschenrechtsverteidiger*innen, die nachweislich in Russland verfolgt werden und die bereits Verbindungen nach Deutschland, durch beispielsweise gemeinsame Projekte, haben. Die Möglichkeit eines humanitären Visums nach § 22 Satz 2 AufenthG besteht zudem für belarussische Staatsangehörige, welche die oben genannten Kriterien erfüllen.
Im Rahmen des § 22 ist immer eine aufwändige Einzelfallprüfung notwendig, da der Paragraph auf die individuelle Aufnahme von Personen zugeschnitten ist. Nach der Gesetzessystematik ist es im Gegensatz zu § 23 AufenthG ein Paragraph, der immer ein besonderes politisches Interesse der Bundesrepublik Deutschland an der Aufnahme einer einzelnen Person voraussetzt. Dieses Interesse muss in jedem Einzelfall begründet werden. Bei der Prüfung jedes Falles sind zwei Ministerien und mindestens eine Botschaft beteiligt. Letztlich entscheidet das Bundesministerium des Innern und für Heimat über eine Aufnahmezusage. Zudem werden die Ablehnungen nicht im Detail begründet und können nicht mit Rechtsmitteln beanstandet werden. Die antragstellenden Personen haben keinen Anspruch auf eine Aufnahmezusage, auch wenn sie die in der Öffentlichkeit kursierenden Kriterien erfüllen.
Da derzeit kein offizielles Aufnahmeprogramm aus Russland besteht, werden die Aufnahmeanträge von Menschenrechtsverteidiger*innen, Aktivist*innen und Journalist*innen aus Russland nach § 22 Satz 2 AufenthG bearbeitet. Dieses Verfahren ist jedoch auf besondere Einzelfälle und nicht für die Mehrzahl von gleichgelagerten Fällen zugeschnitten. Aus diesem Grund ist die Bearbeitungsdauer mittlerweile hoch und es besteht keine Garantie auf eine Aufnahmezusage, auch wenn oberflächlich betrachtet die Kriterien vorliegen.
Die Erweiterung von Kriterien unter Beibehaltung derselben Verfahren würde bedeuten, dass die Ministerien mit individuellen Prüfungen chancenlos überlastet wären. Gerade für solche Fälle hat der Gesetzgeber den § 23 AufenthG geschaffen. Über § 23 AufenthG können größere Personengruppen in gleichgelagerten Fällen aufgenommen werden, weil auf eine detaillierte individuelle Prüfung verzichtet werden kann. Zudem erfordert der § 23 eine klare Festlegung und öffentliche Bekanntgabe von Kriterien und Quoten, sodass die Erfolgswahrscheinlichkeit bereits im Vorfeld im Beratungsgespräch geklärt werden kann. Bei einer rechtswidrigen Ablehnung von Personen, die Kriterien erfüllen, kann eine Klage erhoben werden.
Die Anwendung des § 22 AufenthG war zu Beginn der russischen Invasion in der Ukraine angemessen, weil zu diesem Zeitpunkt noch nicht eindeutig klar war, wie viele Personen den Schutz benötigen und welche Kriterien für die Aufnahme festgelegt werden müssen. Mittlerweile hat sich der Verfolgungsdruck in Russland erhöht und sind die besonders schutzbedürftigen Gruppen klar geworden, sodass ein Aufnahmeprogramm gestartet werden kann.
Ein entscheidender Unterschied zwischen den Paragraphen liegt darin, dass der § 22 Satz 2 sich an eine äußerst spezielle und vergleichsweise privilegierte Gruppe richtet, bei der sich die Aufnahmechancen nach Bekanntheitsgrad oder engen Kontakten zu deutschen Organisationen erhöhen können. Wir beabsichtigen mit unserer Petition ein Aufnahmeprogramm, das einer äußerst schutzbedürftigen Gruppe eine Evakuierung aus humanitären Gründen ermöglichen soll.
Würde der Anwendungsbereich des § 22 AufenthG erweitert, würde er dem Sinn nach dem § 23 entsprechen. Insoweit wäre es hinfällig, an dem aufwändigen Verfahren gem. § 22 Satz 2 AufenthG festzuhalten . Die Überführung von Einzelfallverfahren nach § 22 AufenthG in ein kollektives Verfahren gem. § 23 AufenthG ist ein logischer Schritt bei der Aufnahme einer Mehrzahl von Personen. Wir sind davon überzeugt, dass aktuell 100-200 Trans* und Inter*-Personen aus Russland pro Monat über einen Zeitraum von drei Jahren dringend aufgenommen werden müssen.
Außerdem schließen sich die Verfahren nicht gegenseitig aus. Wenn für die Aufnahme von Personengruppen, z.B. für Trans*-Menschen, ein Kontingent gem. § 23 Abs. 2 AufenthG eröffnet wird, schließt es nicht aus, dass andere Personen weiterhin nach § 22 Satz 2 AufenthG auf der Grundlage einer Einzelfallprüfung aufgenommen werden.
Ein Aufnahmeprogramm gem. § 23 Abs. 2 AufenthG wurde bereits 2022 nach der Machtergreifung der Taliban in Afghanistan eröffnet. Leider konnten bislang nur wenige Personen über das Programm in Deutschland einreisen. Im ersten Jahr des Programms wurden weniger als 800 Aufnahmezusagen erteilt, obwohl das Kontingent für 12000 LSBTQ*-Personen und Frauenrechtler*innen pro Jahr eröffnet wurde. Davon haben bisher nur unter 100 Personen tatsächlich Visaanträge gestellt. Das liegt jedoch nicht am angewendeten Paragraphen des Gesetzes, sondern an länderspezifischen Problemen, wie Sicherheitsüberprüfungen und dem Umstand, dass die Deutsche Botschaft in Kabul nicht mehr arbeitet. Obwohl in Russland, bis auf die Deutsche Botschaft in Moskau, alle deutschen Auslandsvertretungen geschlossen haben, werden weiterhin, koordiniert aus Moskau, an mehreren Orten in ganz Russland Visabeantragungen ermöglicht.
Zu bemerken ist, dass diese Zahlen zwar niedriger als geplante Aufnahmezahlen aus Afghanistan sind, jedoch wesentlich höher als die Zahl der nach § 22 AufenthG bisher aufgenommenen LSBTQ*-Personen. Personen, die eine Aufnahmezusage erhalten haben, werden die Visaanträge noch stellen und später einreisen können. Dafür müssen sie zunächst Afghanistan verlassen und einen Visumantrag bei einer Deutschen Botschaft stellen. Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch zu wissen, dass die nicht vollständig aufgebrauchte Quote sich in die nächsten Jahre verschiebt, sodass die Personen die Möglichkeit der Antragstellung weiterhin haben.
Gerade deswegen ist es wichtig, das Aufnahmeprogramm aus Russland so früh wie möglich zu beginnen, da die Botschaft in Moskau aktuell noch in der Lage ist, Anträge zu bearbeiten und eine Ausreise noch möglich ist.
Die Bundesregierung führt regelmäßig Aufnahmeprogramme in Krisensituationen durch. Allein in den neunziger Jahren wurden tausende Menschen aufgrund der Kriege im Balkan über den § 23 AufenthG aufgenommen. Im russischsprachigen Raum ist die Aufnahme jüdischer Zuwanderer*innen aus der ehemaligen Sowjetunion bekannt, die gerade aufgrund eines Aufnahmeprogramms gem. § 23 Abs. 2 AufenthG erfolgte. Mehr als 200.000 Menschen kamen in 30 Jahren im Rahmen dieses Verfahrens nach Deutschland. Ferner wurde mit einer Anordnung des BMI vom 5.12.2008 die Aufnahme von rund 2.500 Flüchtlingen aus dem Irak gem. § 23 Abs. 2 AufenthG eingeleitet. Im Jahr 2011 wurden 100 geflüchtete Personen gem. § 23 Abs. 2 AufenthG aus Malta aufgenommen. In den Jahren 2012-2013 wurden etwa 205 irakische Staatsangehörige aus der Türkei und im Jahr 2012 zudem 202 Personen aus Libyen aufgenommen. Seit 2014 gibt es auch Aufnahmeprogramme für Personen aus Syrien, über die in den letzten Jahren mehr als 10000 Personen aufgenommen wurden.
Auch aufgrund von Landesaufnahmeprogrammen gem. § 23 Abs. 1 AufenthG werden Schutzbedürftige erfolgreich aufgenommen. Beispielsweise hat das Land Berlin im Jahr 2017 ein Landesaufnahmeprogramm für 5000 syrische Staatsangehörige gestartet, das zunächst noch bis 2024 andauert. Für die Jahre 2023-2024 hat das Land Berlin ein Programm für die Aufnahme von afghanischen Schutzsuchenden aus Afghanistan und den Anrainerstaaten zu ihren in Deutschland lebenden Verwandten eröffnet.