Aufnahmeprogramm für trans* Menschen öffnen
Historische und politische Verantwortung übernehmen: Aufnahmeprogramm für trans* Menschen öffnen
Historische und politische Verantwortung übernehmen: Aufnahmeprogramm für trans* Menschen öffnen
Seit Beginn des Angriffskriegs Russlands gegen die Ukraine beobachten wir eine zunehmende Verschlechterung der Menschenrechtslage von LSBTIQ* Personen in Russland. Diese Entwicklung mündet in dem jüngsten trans* feindlichen Gesetz, mit dem nicht nur geschlechtsangleichende Operationen und Maßnahmen de facto verboten werden, sondern auch Ehen annulliert und das Sorgerecht entzogen werden kann. Gleichzeitig erlaubt das Gesetz bei intersexuellen Personen eine Geschlechtsangleichung ohne Einwilligung der betroffenen Person.
Hierbei handelt es sich um massive Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit und Menschenrechte besonders schutzbedürftiger Gruppen. Offizielle Begründung hierfür ist der Kampf gegen eine westliche “Transgender-Industrie”. Stellvertretend für die Prinzipien der europäischen Wertegemeinschaft wie Menschenrechte, Freiheit und Demokratie wird nun speziell die TIN* (Abkürzung: trans*, inter*, nonbinär*) Community in Russland zur Zielscheibe der russländischen Politik und Justiz. In Anbetracht der besonderen historischen und politischen Verantwortung Deutschlands ist daher schnellstmögliches Handeln notwendig.
Schaffung eines Aufnahmeprogramms gem. § 23 AufenthG, um trans* Personen aufenthaltsrechtlich schnell und effektiv zu helfen,
Allgemein leichtere Erteilung von Visa unter Bezugnahme auf den Ratsbeschluss der EU (https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/IP_22_5430),
Generell Absehen von der Nachholung des Visumverfahrens, wenn Personen bereits im Inland sind,
Großzügige Ermessensausübung bei der Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen,
Schnellere Bearbeitung und kürzere Wartezeiten bei Visaerteilung,
Unmittelbarer Zugang zu medizinischer Versorgung und sicherer Unterbringung von trans* Personen in Deutschland.
Die Gefahrenlage für LSBTIQ* Personen hat sich seit Beginn des Angriffskriegs Russlands gegen die Ukraine deutlich verschärft. Seit dem 24. Februar 2022 wurde in Russland eine Reihe von Gesetzen verabschiedet, die demokratische und freiheitliche Rechte massiv einschränken. Zur strategischen Kriegsführung wird sich einer in alle gesellschaftlichen Bereiche eindringenden Propaganda bedient, die sich speziell auf Feindbilder und eine von ihnen ausgehende essentielle Bedrohung stützt. Die propagierte Bedrohung, der Russland ausgesetzt sei, wird dabei als Legitimation für den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Ukraine mitsamt unzähligen Kriegsverbrechen erfolgreich genutzt.
Das von Russland imaginierte Feindbild bezieht sich dabei auf jegliche Ideale, welche den Grundpfeilern der Europäischen Union entsprechen, wie demokratische Grundsätze, Medienfreiheit, Schutz von Minderheiten und natürlich LSBTIQ*-Rechte. Die Feinde Russlands seien laut russländischer Propaganda nicht nur außerhalb der Landesgrenzen, sondern auch im eigenen Land zu finden. Folgerichtig werden LSBTIQ*-Organisationen sowie ihre Communities bedroht, verfolgt und schutzlos Hassgewalt ausgesetzt.
Eine beispiellose Eskalation stellen die aktuellen transfeindlichen Gesetze dar, die durch die Verweigerung der medizinischen Versorgung einen Einfluss auf die körperliche und seelische Gesundheit von trans* Personen haben. Das Gesetz beinhaltet das Verbot, den Geschlechtseintrag zu ändern und geschlechtsangleichende Maßnahmen durchzuführen. Medizinischem Personal wird es von staatlicher Seite verboten, trans* Menschen entsprechend zu behandeln und ihnen einen Zugang zur Hormontherapie zu gewähren. Nicht nur wird trans* Personen verweigert, ein selbstbestimmtes Leben zu führen; das plötzliche Fehlen von für sie lebensnotwendigen Medikamenten wird schwere Auswirkungen auf ihre körperliche und psychische Gesundheit haben. Speziell trans Frauen*, die bereits geschlechtsangleichende Maßnahmen vorgenommen, aber noch nicht ihre Dokumente geändert haben, werden aus dem öffentlichen Raum verdrängt und gezwungen, ein Leben in der Marginalisierung zu führen. Sie unterliegen aktuell einer besonderen Schutzbedürftigkeit.
Weiterhin stellt das transfeindliche Gesetz einen schwerwiegenden Eingriff in die Familienrechte dar. Trans* Menschen, die bereits ihren Geschlechtseintrag geändert haben, wird es versagt, Kinder adoptieren zu können. Noch gravierender ist die Situation von denjenigen, die bereits eine Familie gegründet haben. So sollen laut neuem Gesetz Ehen annulliert und Kinder aus den Familien entzogen werden.
Es ist anzunehmen, dass das transfeindliche Gesetz zu einem Anstieg an Hasskriminalität gegenüber der TIN* und insgesamt der LSBTIQ* Community führen und gleichzeitig auch die Selbstmordrate der Betroffenen steigen wird. Die gegen die LSBTIQ* Community gerichteten Gesetze bieten eine Legitimierung für die politische und rechtliche Verfolgung, die zusätzlich auch die Diskriminierung auf allen gesellschaftlichen Ebenen nach sich ziehen wird. Die russländischen Debatten rund um die Verabschiedung des transfeindlichen Gesetzes waren speziell von der Argumentation geprägt, dass es sich bei Transsexualität um eine Krankheit handele, die von der Europäischen Union und insgesamt dem Westen befördert werde und geheilt werden müsse. In diesem Kontext wurde zusätzlich von staatlicher und propagandistischer Seite die Einführung von Konversionstherapien gefordert, die bereits in Einzelfällen stattfinden. Gewalt an LSBTIQ* Personen ist politisch gewollt und wird durch die tagtägliche Propaganda weiter befeuert.
Die aktuellen Gesetzesverschärfungen symbolisieren dabei auch die zunehmende politische Entwicklung zu einem totalitären Staat, der sich aus ultrakonservativen und ultranationalistischen Ideologien speist und als Gegenpol zum sogenannten “Gayropa” existieren soll. So wurde das jüngste transfeindliche Gesetz in den Parlamentsdebatten damit begründet, die Soldaten der “militärischen Spezialoperation” sollten in ein “anderes Land” zurückkehren, d.h. ein Russland, das sich ideologisch noch eindeutiger von “dem Westen” unterscheidet.
Gegen keine andere soziale Gruppe, wie gegen die LSBTIQ* Community wird in solchem Ausmaß eine innenpolitische Aggression geführt, die in gesetzlichen Verschärfungen und Einschränkungen der Persönlichkeitsrechte von besonders vulnerablen Gruppen mündet. Als stellvertretendes Symbol für den “Westen” und seine Werte wird die LSBTIQ* Community in Russland zur Zielscheibe der russländischen Politik und Justiz. Anders gesagt: Die Diskriminierung und Verfolgung von LSBTIQ* Personen in Russland funktioniert als strategisches Kalkül zur Stabilisierung eines in sich immer weiter isolierenden Regimes, das nicht nur einen ideologischen Kampf gegen alles vermeintlich “Westliche”, sondern auch einen ganz realen völkerrechtswidrigen Krieg mitten in Europa führt.
Deutschland trifft gegenüber den aktuellen Opfern Politik Russlands in der Ukraine, aber auch in Russland selbst eine besondere historische und politische Verantwortung. Die langjährige Appeasement-Politik gegenüber Russland, selbst nach der Annektierung der Krim und Besetzung östlicher Staatsgebiete der Ukraine, zeugt von einer politischen Fehleinschätzung, die zu verheerenden Auswirkungen in erster Linie in der Ukraine, aber auch weltpolitisch, führte. Die Ursachen sind dabei auch in historischen Zusammenhängen und deutscher Erinnerungspolitik nach dem Zweiten Weltkrieg zu suchen.
Die vermeintlich vorbildliche Aufarbeitung der deutschen Geschichte ist in Wirklichkeit von tiefgreifenden Lücken geprägt. Die Beschränkung der Erinnerungspolitik auf das Narrativ Russlands, im Sinne einer gleichzeitigen Fokussierung auf russische Opfer und Sieger des “Großen Vaterländischen Krieges”, reduzierte die Ukraine und andere Nachbarländer zu einem kolonialen Objekt und ignorierte Stimmen der ethnischen und sozialen Minderheiten sowie der Opposition in Russland, die schon lange auf die besorgniserregende Lage der Demokratie und Menschenrechte aufmerksam machen.
LSBTIQ* Organisationen in Russland setzen sich seit Jahren für Menschenrechte, Freiheit und Demokratie ein. Vielen von ihnen, wie Wychod, T-Action oder das LGBT-Network wurden bereits auf die Liste der sogenannten “ausländischen Agenten” gesetzt, wodurch ihre Arbeit offiziell unmöglich und unsichtbar gemacht wird.
Eine besondere Situation ergibt sich jedoch daraus, dass unabhängig vom Aktivismus und einem zivilgesellschaftlichen Einmischen, die LSBTIQ* Community grundsätzlich Repressionen ausgesetzt ist. Speziell ist auch, dass sich die Argumentation für entsprechende Gesetzesverschärfungen nicht allein auf Homo-, Trans- oder Queerfeindlichkeit bezieht, sondern die Verfolgung von LSBTIQ* Personen ein elementarer Teil der russländischen Propaganda ist, auf die sich das Weiterbestehen des Regimes stützt. Diese Tendenz hat sich seit Beginn des Angriffskrieges gegen die Ukraine verschärft und die Konzentration auf die LSBTIQ* Community als ideologischen Verbündeten “des Westens” verstärkt. Die Repressalien und Einschränkungen der Schutzrechte von LSBTIQ* Personen sind daher auch als Racheakt des russländischen Regimes symbolisch am freiheitlichen und fortschrittlichen “Westen” zu verstehen. Die Mitglieder der Europäischen Union haben daher eine besondere politische Verantwortung, LSBTIQ* Personen aus Russland Schutz zu gewähren.
Eine besondere historische Verantwortung für Deutschland ergibt sich auch aus der Verfolgung von Lesben und Schwulen in der Zeit des Nationalsozialismus und der erst späten Entkriminalisierung von Homosexualität. Die Wahrnehmung politischer und historischer Verantwortung gebietet in diesem Zusammenhang auch der kontinuierlich zu beobachtende Aufstieg der AfD, welche ebenfalls das Feindbild einer “Gender-Ideologie” pflegt und sich geopolitisch im Rahmen des Konzepts einer vermeintlichen “Multipolarität” an Russland orientiert.
Erst in diesem Jahr wurden zwei wichtige Grundpfeiler zur queerpolitischen und feministischen Politik Deutschlands gesetzt. In den Leitlinien für feministische Außenpolitik wird der Einsatz für die Schutzrechte von LSBTIQ* Personen weltweit explizit genannt und Deutschland in diesem Sinne eine führende Rolle zugetragen. Ähnliches lässt sich im Aktionsplan “Queeres Leben!” der Bundesregierung wiederfinden. Im Maßnahmenplan zum Punkt „Internationales“ wird konkret auf Schutz- und Aufnahmeprogramme für Vertreterinnen der Zivilgesellschaft genannt. Solche humanitären Aufnahmen für Aktivistinnen, Journalist*innen und Menschenrechtsverteidiger*innen sind von immenser Bedeutung, um einerseits vor politischer Verfolgung zu schützen und andererseits die Fortführung zivilgesellschaftlicher Arbeit zu ermöglichen.
Dennoch ist die Erteilung humanitärer Visa, geknüpft an politischen Aktivismus, in vielen Fällen problematisch. In Russland war LSBTIQ* spezifischer Aktivismus schon immer einem höheren Risiko ausgesetzt oder ganz unmöglich, wie wir es beispielsweise im Nordkaukasus sehen, wo allein die Zugehörigkeit zur LSBTIQ* Community eine akute Lebensgefahr bedeutet. Unter der kriegsbedingten Radikalisierung der russländischen Politik und damit einhergehenden Einschränkungen der Menschenrechte in Russland werden insbesondere weniger privilegierte, besonders schutzbedürftige Menschen leiden, die wenig Berührungspunkte mit Aktivismus oder gar Zugang zu internationalen bzw. deutschen Kontakten pflegen konnten. Dazu zählen gerade ganz aktuell und akut trans* und inter* Personen.
Eine angemessene Politik muss heute allen Opfern der imperialistischen Politik Russlands gerecht werden. Dazu zählen insbesondere LSBTIQ* Personen, die aktuell absolut schutzlos dem russländischen Regime ausgeliefert sind.
Um trans* und inter* Personen ein Leben in Sicherheit und Freiheit zu ermöglichen, braucht es ein Aufnahmeprogramm, um die vulnerabelsten Menschen, deren Existenz in Russland abgesprochen wird, schnellstmöglich zu evakuieren.
Der § 23 AufenthG stellt effektive rechtliche Mittel bereit, besonders schutzwürdige Personen aus dem Ausland aufzunehmen. Zur Aufnahme von LSBTIQ* Personen aus Russland stehen damit grundsätzlich verschiedene Wege zur Verfügung.
Die Restriktionen gegenüber LSBTIQ* Personen in Russland haben sich derart verdichtet, dass den Betroffenen eine menschenwürdige Existenz unmöglich gemacht wird. Die besondere politische Verantwortung gebietet es auch, in umfassender Weise von den zur Verfügung stehenden Mitteln Gebrauch zu machen. Dabei käme etwa eine Anordnung gem. § 23 Abs. 2, Abs. 3 AufenthG i.V.m. § 24 AufenthG in Betracht, wie es sie für besonders gefährdete afghanische Staatsangehörige gibt. Die aufzunehmenden Personen könnten dann von geeigneten Organisationen der Zivilgesellschaft als meldeberechtigten Stellen vorgeschlagen werden.
Die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis an die Abgabe einer Verpflichtungserklärung zu knüpfen, erscheint wenig angebracht, da der betroffene Personenkreis in der Regel bereits unter sehr marginalen Bedingungen existiert und daher über nur geringe finanzielle Mittel und meist auch nicht über dies persönlichen Verbindungen verfügt, einen anderen Verpflichtungsgeber zu finden.
Eine Aufnahme gem. § 23 Abs. 4 AufenthG käme für den Personenkreis in Betracht, der sich bereits im Ausland befindet. Es wird aber auch in besonderer Weise darum gehen, Personen die direkte Ausreise aus Russland zu ermöglichen.
In Fällen, in denen die tatsächliche Identität nicht mehr mit der Identität in den Dokumenten übereinstimmt und die russländischen Behörden sich weigern, geänderte Dokumente auszustellen, könnte Deutschland Ersatzdokumente ausstellen, um eine unproblematische Einreise zu ermöglichen.
Der § 23 AufenthG bietet verschiedene Möglichkeiten, schnell und effektiv Personen aus dem Ausland aufzunehmen. Gem. § 23 Abs. 1 AufenthG kann die oberste Landesbehörde anordnen, dass Ausländern aus bestimmten Staaten und bestimmten Gruppen eine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Die oberste Landesbehörde verfügt hierbei über ein weites Entschließungs- und Ausgestaltungsermessen. Dabei kann die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis von der Abgabe einer Verpflichtungserklärung abhängig gemacht werden.
Diese Anordnung ermöglicht es, bestimmte Gruppen, die sich in einer besonders gefährdeten Situation befinden, als Flüchtlinge legal nach Deutschland einreisen zu lassen. Die konkrete Auswahl der Personen kann auch Nichtregierungsorganisationen überlassen werden.
Nach § 23 Abs. 2 AufenthG können Menschen aufgrund besonders gelagerter politischer Interessen durch Anordnung des Bundesministeriums des Innern zusammen mit den obersten Landesbehörden aufgenommen werden. Ihnen kann auf dieser Grundlage eine Aufenthaltserlaubnis oder sogar eine Niederlassungserlaubnis erteilt werden.
Es wird zunächst eine Aufnahmezusage unter der Bedingung erteilt, dass in dem darauffolgenden Visumverfahren ein Visum erteilt wird. Die obersten Landesbehörden müssen gem. § 32 AufenthV der Visumerteilung zustimmen. Für die Durchführung des Aufnahmeverfahrens ist gem. § 75 Nr. 8 AufenthG das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zuständig, das auch die Aufnahmezusage erteilt, mit der die Einreise möglich ist.
Ferner kann das Bundesministerium des Inneren gem. § 23 Abs. 4 AufenthG im Rahmen der Neuansiedlung von Schutzsuchenden im Benehmen mit den obersten Landesbehörden anordnen, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge bestimmten für eine Neuansiedlung ausgewählten Schutzsuchenden eine Aufnahmezusage erteilt. Dieses sogenannte Resettlement zielt darauf ab, schutzbedürftigen Menschen, die aus ihrer Heimat in einen Drittstaat geflohen sind, aber dort keine dauerhafte Lebensperspektive haben, eine neue Perspektive im Aufnahmestaat Deutschland zu eröffnen. In der Aufnahmeanordnung des Bundesministeriums des Innern werden dabei bestimmte Kriterien festgelegt, die die Schutzsuchenden erfüllen müssen. Auf dieser Grundlage erteilt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Personen, die z.B. vom UNHCR für besonders schutzwürdig befunden wurden, nach persönlichen Interviews eine konkrete Aufnahmezusage. Die Aufnahmezusage wird unter der Bedingung erteilt, dass in dem darauffolgenden Visumverfahren ein Visum erteilt wird. Die obersten Landesbehörden stimmen der Visumserteilung danach zu.